Die Bundesregierung gebe zentrale humanitäre Prinzipien auf, um migrationspolitisch "handlungsfähig" zu erscheinen, kritisierte die Direktorin des Caritasverbands für das Bistum Essen, Stefanie Siebelhoff, auf dem diesjährigen Migrationsfachtag der Caritas in NRW in Köln. Es gehe der Koalition offenbar nicht mehr um Menschenwürde, sondern um Grenzmanagement, Rückführung und Kontrolle. Siebelhoff forderte dagegen Haltung zu zeigen "für ein solidarisches, gerechtes und vielfältiges Miteinander".
Viele Maßnahmen der Bundesregierung wie die geplante Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Schutzberechtigten, die Beendigung freiwilliger Bundesaufnahmeprogramme und die Zurückweisung von Geflüchteten an den Außengrenzen stünden für eine Politik der Abschottung statt des Schutzes, kritisierte die Caritas-Direktorin. "Familienzusammenführung ist kein Gnadenakt, sondern ein Menschenrecht", sagte Siebelhoff. Wer Integration ernst meine, müsse auch Familien ein gemeinsames Leben ermöglichen.
Neben einer kritischen Analyse der politischen Entwicklungen betonte die Caritasdirektorin auch den gesellschaftlichen Kontext: "Wir beobachten einen zunehmenden Rechtsruck - auch mitten in der Gesellschaft. Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nehmen zu, nicht nur in der Sprache, sondern in konkretem Verhalten und strukturellen Benachteiligungen." Die Folgen seien in der täglichen Arbeit spürbar: "Unsere Fachkräfte erleben, wie Schutzsuchende verunsichert werden und wie Mitarbeitende zwischen Fachlichkeit und Ohnmacht arbeiten." Umso wichtiger sei ihre Arbeit: "Sie begleiten, beraten, vermitteln - und Sie schaffen damit nicht nur Zugänge, sondern auch Vertrauen. Sie sind Brückenbauer*innen in einer Gesellschaft, die sich immer wieder neu erfinden muss, wenn sie zusammenhalten will", rief Siebelhoff den Teilnehmenden des Fachtages zu.
Unter dem Titel "Stärkung der Beratungs- und Integrationsarbeit in herausfordernden Zeiten - Strategien für eine vielfältige Gesellschaft" diskutieren am Mittwoch in Köln über 150 Fachkräfte aus der Migrationsberatung, Politik und Wissenschaft über den aktuellen Kurs in der Migrationspolitik und seine Folgen für die Praxis vor Ort.
Hinweis: CDU, CSU und SPD wollen den Familiennachzug zu Menschen mit sogenanntem subsidiären Schutzstatus zunächst für zwei Jahre aussetzen. Am Freitag wird der Bundestag voraussichtlich abschließend über einen entsprechenden Gesetzentwurf beraten. Subsidiärer Schutz greift, wenn Menschen in ihrem Herkunftsland ernsthafter Schaden droht, also etwa Folter oder die Todesstrafe. Häufig sind Betroffene auch Bürgerkriegsflüchtlinge. Der Familiennachzug ist in diesen Fällen seit Jahren bereits auf bis zu 1.000 im Monat beschränkt.