Selbstbestimmt leben mit Persönlicher Assistenz
Wer Verena Wiedmann (41) und Eva Schöllhorn (33) zusammen erlebt, sieht ein eingespieltes Team. Einen Blick, eine knappe Aufforderung, ein Wortspiel, das nur die beiden verstehen. Jeder Handgriff von Eva Schöllhorn sitzt, und viele der Tätigkeiten, die sie für Verena Wiedmann ausübt, bleiben unkommentiert. Sie zieht ihr die Schuhe an und schnürt sie zu, richtet den Rollstuhl aus, führt den Löffel zum Mund und legt die Hände in eine bequemere Lage. Verena Wiedmann leidet unter Muskeldystrophie, kann Arme und Beine nicht bewegen, sitzt im Rollstuhl und wird beatmet. Eva Schöllhörn ist seit drei Jahren als Persönliche Assistenz bei ihr angestellt.
"An meinem Leben ist nichts Besonderes"
Insgesamt neun Assistenten, acht Frauen und ein Mann, begleiten die schwerbehinderte Frau durch den Alltag in ihrer Zweizimmerwohnung in Eppelheim bei Heidelberg. In Schichten wird sie rund um die Uhr betreut und unterstützt beim Aufstehen, Essen, Arbeiten, Haushalterledigen, Einkaufen, Freizeitgestalten, Schlafengehen. "Mein Leben unterscheidet sich nicht so sehr von dem eines Nichtbehinderten", fasst Verena Wiedmann zusammen. "Viele meinen, bei mir müsse etwas speziell sein. Ich wüsste nicht, was an meinem Leben besonders ist."
Das Besondere mag für Außenstehende die Überlegung sein, wie sie ihren Alltag mit den körperlichen Einschränkungen bewältigt. In der Praxis sieht das so aus, dass Verena Wiedmann ihrer Assistenz genaue Anweisungen gibt. Sie ruft, wenn sie Durst hat oder im Rollstuhl aufgerichtet werden möchte, bestimmt, wie groß das Gemüse geschnitten und wann im Topf gerührt werden soll.
Sie weiß, was sie will oder was sie eben nicht will. Für die Assistenz bedeutet das mitunter, ein dickes Fell mitzubringen. "Niemand ist immer gut drauf, und man darf nicht alles persönlich nehmen", sagt Assistentin Eva Schöllhorn, die auch schon ihre Erfahrungen mit den Stimmungsschwankungen ihrer Chefin gemacht hat. "Am Anfang war ich immer hinter ihr her und wollte sie bemuttern. Einmal habe ich sogar für sie gesprochen, da war sie dann richtiggehend pikiert", erinnert sie sich lachend.
Selbstständigkeit als Selbstverständnis
Für die studierte Biologin Wiedmann, die mehr als acht Jahre als Naturwissenschaftlerin am Paul-Ehrlich-Institut tätig war, ist Selbstständigkeit ein hohes Gut. Bereits als junges Mädchen war ihr klar, dass sie früh aus dem Elternhaus raus möchte. Gleich nach dem Abitur an der SRH Stephen-Hawking-Schule in Neckargemünd suchte sie eine Wohnung und wurde in Eppelheim fündig. Seither lebt sie mit der Persönlichen Assistenz.
Eine gemeinsame Wellenlänge zu haben, das sei ein Optimum, aber nicht immer gegeben. Nicht jede Assistenz eigne sich für alle Unternehmungen, sagt Wiedmann und spielt damit vor allem auf ihre Interessen an. Regelmäßig geht sie auf Konzerte, trifft Freunde, ist Gasthörerin an Vorlesungen oder besucht Kochkurse. Und sie engagiert sich für die Belange von Menschen mit Behinderung. Mit Eva Schöllhorn an der Seite war sie auf Demos und Flashmobs zum Bundesteilhabegesetz. "Wir haben dafür gekämpft, dass es ein gutes Gesetz wird", sagt sie mit Nachdruck. Dass beispielsweise die Assistenz als Sozialleistung unabhängig vom Einkommen des Menschen mit Behinderung geleistet wird und dadurch behinderte Arbeitnehmer den nichtbehinderten gleichgestellt werden. Noch konnte den Wünschen nicht vollumfänglich entsprochen werden, doch Wiedmann ist optimistisch und macht weiter. Sie arbeitet ehrenamtlich im Vorstand des Vereins "Individualhilfe für Schwerbehinderte" in Heidelberg und übernimmt einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Den Menschen zu zeigen, dass eine Persönliche Assistenz eine Alternative zu Familie und Wohnheim darstellt, ist ihr ein großes Anliegen. "Die Assistenz ermöglicht mir, mein Leben selbst zu gestalten", so ihr Resümee.